Planen Sie Szenarien oder Prozesse?
Aktuell kann man in den Medien verständlicherweise viel über Krisenmanagement lesen. Dabei werden mitunter diametral unterschiedliche Aussagen getätigt - was naturgemäß verunsichert. Einige meinen Szenariotechnik ist das Um und Auf – es muss für die Zukunft das Szenario „Pandemie“ mit eingeplant werden. Andere meinen, Szenariotechnik bringt gar nichts, weil die Realität letztendlich immer ein wenige anders ist als der Plan – daher „bleibt man dann stecken“; zielführend ist einzig und allein ein Prozessplanung. Was ist also richtig? Planen wir für das Krisenmanagement besser Szenarien oder besser Prozesse?
Die Wahrheit liegt in der Mitte.
Krisenkompetenz ist eine Metakompetenz. D.h. es geht darum, kompetent in der Entwicklung, Anpassung und Anwendung von konkreten, spezifischen Kompetenzen zu sein. Da eine Krise definitionsgemäß immer einzigartig oder zumindest erstmalig ist, kann man die Reaktion definitiv nicht im Detail vorplanen. Und ja, da haben die recht die sagen, Pläne, die nur auf Szenarien ausgerichtet sind, reichen für das Krisenmanagement nicht. Wohlgemerkt: Für das Krisenmanagement. Im Notfallmanagement tun wir sehr gut daran, konkrete Pläne für konkrete Szenarien zu erstellen. Aber selbst dort vermisse ich immer wieder in bestehenden Notfallplänen den sogenannten „generischen Notfall“: Der Notfallplan, der für jedes Szenario anzuwenden ist, sozusagen die „unspezifische Checkliste“. Wann immer ein Notfall eintritt, der noch nicht spezifisch abgedeckt ist, muss nach diesem Plan vorgegangen werden.
Dieser „generische Notfall“ stellt somit ein Stück weit den Übergang vom Notfallmanagement zum Krisenmanagement dar.
Im akuten Krisenmanagement geht es aber darum, auf eine existenzbedrohende, einzigartige Situation möglichst rasch und zielgerichtet zu reagieren. Häufige Ursachen sind dabei disruptive Ereignisse. Es muss nun identifiziert werden, welche Fähigkeiten und Werkzeuge es braucht, um eine Krise möglichst rasch und effizient zu meistern. Wie kommt man aber zu einer entsprechenden Aufstellung?
Einerseits kann man in Literatur und Standards fündig werden (z.B. ONR CEN/TS 17091, SKKM oder ICS). Andererseits sind Evaluierungen und Analysen eigener Erfahrungen besonders wichtige Inputs:
- After Action Reviews
- Übungen von Szenarien; dabei reicht am Anfang bereits ein reines „Durchbesprechen“, aber irgendwann ist eine Simulationsübung notwendig als „Stresstest“ für die Qualifikationen und die Prozesse. Dabei müssen diese Übungen von Umfang und Dauer unbedingt so angelegt werden, dass nicht nur die Fähigkeiten einzelner Personen bzw. Teams angetestet werden, sondern auch die geplanten/bestehenden Prozesse einer entsprechenden Belastungsprobe unterzogen werden.
Mit all diesen Findings werden Qualifizierungsmaßnahmen geplant und entweder Prozesse angepasst oder neue Prozesse erstellt. Aber Achtung: Wann immer es im Krisenfall zu Abweichungen von der Norm kommt, dann braucht es:
- Sehr genaue, ANWENDERFREUNDLICHE Definitionen der Abweichungen: Diese müssen unter Stress und Zeitmangel umsetzbar sein.
- Ganz klare Definitionen, WANN nach dieser Abweichung vorgegangen wird, und zwar transparent im gesamten Unternehmen. Meine persönliche Erfahrung: Wenn ein Teil des Unternehmens nach Regeln des Krisenmanagements arbeitet und ein Teil im normalen Modus fährt, dann sind Konflikte unausweichlich.
Damit komme ich zu einer dringenden Empfehlung: Mit der Lockdown-Situation gab es ein klassisches disruptives Ereignis. Alle Unternehmen, Organisationen und Behörden standen bzw. stehen vor dem Problem, dass viele ihrer Prozesse unter hohem Zeit- und Erfolgsdruck angepasst werde mussten – wenn das überhaupt möglich war bzw. ist. Ich rate dringend dazu, diese Anpassungen im Zuge eines AAR unter die Lupe zu nehmen. Hier wurden sicher Erfahrungen gemacht, die für eine optimale Vorbereitung auf zukünftige Krisen extrem wertvoll sind. Denn leider gibt es verschiedene disruptive Ereignisse, die für uns alle sehr herausfordernde Auswirkungen haben können. Das viel zitierte Blackout ist nur eines davon. Und unter uns: Die Wahrscheinlichkeit für die meisten anderen Krisenszenarien ist durch Corona nicht unbedingt signifikant gesunken.
Ziehen Sie für so ein AAR unbedingt eine*n erfahrenen Experten/Expertin hinzu. So können Sie sicherstellen, dass das Geschehene in seiner ganzen Breite erfasst wird und dann daraus punktgenau Erfahrungen und Anforderungen an Qualifikationen und Prozessdefinitionen abgeleitet werden können.
Und das wiederum ist die Voraussetzung dafür, dass wir für die Zukunft lernen – gleich ob es sich um eine zweite Welle oder ein Blackout handelt: Es ist schlimm, wenn wir mit Krisen konfrontiert sind. Aber es wäre noch viel schlimmer, nicht daraus zu lernen.
Wenn sie Wünsche oder Anregungen haben, freue ich mich wie immer über eine Email: podcast@krisenmeisterei.at
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